Hirschfelds Testament (1935)

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Räume des WhK im Institut für Sexualwissenschaft, 1919-1933


Das private Testament Magnus Hirschfelds, nach einer von Manfred Baumgardt erhaltenen Kopie aus den Nachlaßakten des AG Charlottenburg (60 VI 100 und 101.59). Erstveröffentlichung in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, >Heft 4, Oktober 1984. Es war als Anlage 2 dem >Bericht  beigefügt, den die Magnus-Hirscheld-Gesellschaft Ende 1998 auf Anforderung der International Gay and Lesbian Human Rights Commission (IGLHRC) zur Washington Conference on Holocaust Era Assets über die nicht bzw. nur unzureichend erfolgte Wiedergutmachung für die Zerstörung des >Instituts für Sexualwissenschaft  erstellt hat.

Ich, der unterzeichnete Dr. Magnus Hirschfeld, zur Zeit wohnhaft in Nice, Hôtel de la Méditerranée, Promenade des Anglais, erkläre hiermit folgendes als meinen letzten Willen:

Artikel 1.

Ich widerrufe hiermit meine sämtlichen früheren Testamente und letztwilligen Verfügungen jeder Art einschliesslich derjenigen, die in notarieller Form oder auf brieflichem Wege errichtet wurden.

Artikel 2.

Der Hauptzweck meines gegenwärtigen Testamentes ist es, da ich keine Leibeserben habe, das in meiner wissenschaftlichen, insbesondere sexualwissenschaftlichen Lebensarbeit enthaltene geistige Erbe über mein persönliches Ende hinaus zu sichern beziehungsweise zu fördern.
Die persönlichen Träger und Verwalter dieser Erbschaft sind meine Schüler.

Artikel 3.

Ich wünsche, dass mein Testamentsvollstrecker, soweit gesetzlich zulässig, über den Inhalt dieses Testaments vollständige Diskretion wahrt und den einzelnen Erben und Vermächtnisnehmern nur diejenigen Teile des Testaments bekannt gibt, die sich auf jeden einzelnen beziehen.

Artikel 4.

Ich setze zu meinen alleinigen Erben zu gleichen Teilen meine nachgenannten Schüler und Mitarbeiter ein und zwar mit der ausdrücklichen Auflage, ihren Erbteil nicht zum persönlichen Gebrauch zu verwenden, sondern lediglich für die Zwecke der Sexualwissenschaft im Sinne meiner sexualwissenschaftlichen Ideen, Arbeiten und Bestrebungen:
  1. Herrn Karl Giese aus Berlin; seine jeweilige Adresse wird bei Dr. Karl Fein, Advokat in Brünn (Brno) C.S.R., 6 Masarykowa, zu erfahren sein.
  2. Herrn Li Shiu Tong aus HongKong, zur Zeit bei mir in Nice.
Sollte einer dieser Erben vor mir sterben oder aus einem sonstigen Grunde nicht mein Erbe werden, so wächst sein Anteil dem anderen zu.

Artikel 5.

Zu gunsten meiner beiden vorgenannten Schüler setze ich weiterhin folgende Vermächtnisse fest:
  1. Herrn Karl Giese vermache ich die mit seiner Hülfe aus dem Berliner Institut für Sexualwissenschaft geretteten Gegenstände, insbesondere alle Dokumente, Manuskripte, Fragebogen, Bilder, Bücher etc.etc., die sich zur Zeit teils auf dem garde-meuble von Bedel u. Co. in Paris, 18 rue St. Augustin, teils noch in Deutschland (Berlin, Wiesbaden) oder Saarbrücken an ihm bekannter Stelle befinden
    Weiterhin vermache ich Herrn Karl Giese die Einkünfte aus meinen sämtlichen Schriften und Büchern in deutscher oder nicht deutscher Sprache incl. Übersetzungen sowie aus Lizenzen für Medikamente.
    Herr Giese erhält diese Vermächtnisse wie das in Artikel 4 erwähnte Erbe unter der ausdrücklichen Auflage, sie für ein Archiv bzw. Institut für Sexualwissenschaft zu verwenden.
    Fernerhin ist an Frau Ellen Bakgaard, Kopenhagen 4, Aaboulevard 82/I der für das Studium des Herrn K. Giese mit ihr brieflich vereinbarte Teilbetrag auszuzahlen, am besten nach Correspondenz mit ihr in einmaliger Summe.
  2. Meinem vorgenannten Schüler Li Shiu Tong vermache ich alle Aktien und Shares, welche in einem Bank-Safe auf seinem und meinem Namen zur Zeit in Paris liegen. Mit diesem Vermächtnis soll gleichzeitig die Schuld getilgt sein, die ich infolge meiner Verfolgung in Deutschland nach und nach bei ihm aufzunehmen gezwungen war. Ferner vermache ich ihm alle Bücher, Papiere, Bilder und sonstigen Gegenstände, die sich zur Zeit meines Ablebens bei mir, ihm oder in gemeinsamer Aufbewahrung z.B. in Paris im Hôtel Quai d'Orsay befinden mit Ausnahme von Geldbeständen (Papiergeld, Devisen, Cheks etc.), aus denen in erster Linie die in den weiteren Artikeln dieses Testaments aufgeführten Familien- und sonstigen Legate durch den Testamentsvollstrecker auszubezahlen sind.
    Diese Vermächtnisse wende ich meinem Schüler Li Shiu Tong unter der ausdrücklichen Auflage zu, sie nicht für sein persönlichen Gebrauch zu verwenden, sondern lediglich für die Zwecke der Sexualwissenschaft im Sinne meiner Bestrebungen.

Artikel 6.

Ich bestimme weiterhin ausdrücklich, dass meine Schüler Karl Giese und Li Shiu Tong dafür zu sorgen haben, dass die ihnen zur Verwendung für die Zwecke der Sexualwissenschaft zugewandten Gegenstände und Vermögenswerte nach ihrem eigenen Tode diesem Zwecke möglichst erhalten bleiben, eventuell durch die Begründung einer juristischen Person z.B. eines Vereins, zu ihren Lebzeiten.

Artikel 7.

Weiterhin sind an folgende Personen Vermächtnisse zu zahlen, die mit dem Wegfall des betreffenden Vermächtnisnehmers erlöschen:
  1. 30.000 (dreißigtausend) französische Franken in entsprechender Währung an meine jüngste Schwester Frau Jenny Hauck, zur Zeit Berlin, Halensee, Hectorstraße 3 bei Posner, falls verzogen Adresse durch meine ältere Schwester Fr. R. Tobias, Berlin-Halenseee, Joachim-Friedrichstr. 7
  2. 20.000 (zwanzigtausend) französ. Franken an meine Freundin Margarete Dost, Berlin NW 87, Unionstrasse 2.
  3. je 15.000 (fünfzehntausend) franz. Francs an die folgenden Nachkommmen meiner verstorbenen Geschwister
  4. Nichte Röschen Hirschfeld, Hamburg, Wandsbecker Chaussee 87;
  5. Neffe Walter Mann, Berlin, Mommsenstrasse 53/54;
  6. Großneffe Franz Richard Mann, z.Z. in London, Sohn des vorigen Walter Mann, der seine genaue Adresse wissen wird.
  7. 5.000 (fünftausend) französische Francs an meinen Großvetter Ernst Maass, zur Zeit Mailand, Viale Romagna 65/III.
  8. 3.000 (dreitausend) franz. Francs mein früherer Angestellter Franz Wimmer, Berlin W 62, Burggrafenstrasse 14; sowie
  9. 10.000 (zehntausend) franz. Franken mein ärztlicher Berater und Freund Dr. Leopold Hönig, Karlsbad, C.S.R., alte Wiese
Sollten die Mittel meines Nachlasses nicht zur Bezahlung sämtlicher vorstehender Vermächtnisse ausreichen, so sollen diese verhältnismässig gekürzt werden.

Artikel 8.

Für die Errichtung meines Grabmals soll ein Betrag von 15.000 (fünfzehntausend) französischen Francs aufgewendet werden. Mit der Anfertigung des Grabmals ist mein Landsmann, der Bildhauer Arnold Zadikow, Paris-Malskoff, 27 rue Leplanquais, zu beauftragen. Vorraussetzung dabei ist, dass ich in Europa (am liebsten wäre mir Nice oder Paris) bestattet werde
Die Pflege meines Grabes lege ich in die Hände meines Schülers Li Shiu Tong.

Artikel 9.

Meine Leiche soll verbrannt werden.

Artikel 10.

Zu meinem Testamentsvollstrecker ernenne ich Herrn Dr. Franz Herzfelder, früher Rechtsanwalt in München, jetzt conseil juridique in Nice, Boulevard Carlone no. 6.
Der Testamentsvollstrecker hat alle nach dem Gesetz ihm obliegenden Pflichten und ihm zustehenden Rechte. Er hat insbesondere zwecks Ausführung der Bestimmungen meines Testaments das Recht, den Nachlass in vorläufigen Besitz zu nehmen.
Der Testamentsvollstrecker erhält ein Honorar von 2.500 (zweitausendefünfhundert) französischen Francs ausser dem Ersatz seiner notwendigen Auslagen.
Eigenhändig geschrieben und unterschrieben
Nice, im Hôtel de la Méditerranée
am 10. Januar 1935

gez. Dr. Magnus Hirschfeld

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