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Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft - Dokumentation

[ungeklärte Vermögensansprüche aus dem Wiedergutmachungverfahren]

 
Der folgende Bescheid des Landgerichts Berlin aus dem Jahre 1965 stammt aus der Wiedergutmachungsakte und wurde uns freundlicherweise von Manfred Baumgardt zugänglich gemacht.
Er war als Anlage 3 dem Bericht beigefügt, den die Magnus-Hirscheld-Gesellschaft Ende 1998 auf Anforderung der International Gay and Lesbian Human Rights Commission (IGLHRC) zur Washington Conference on Holocaust Era Assets über die nicht bzw. nur unzureichend erfolgte Wiedergutmachung für die Zerstörung des Instituts für Sexualwissenschaft erstellt hat.

Abschrift

Landgericht Berlin

1 Berlin 30, den 25. Januar 1965
Am Karlsbad 6
Fernruf 12 16 11
innerbetr.: (95)4271
Geschäftsnummer:
(Bitte bei allen Schreiben angeben!)

(144 WGK) 82 WGA 1269/50 (110/60) - (144 WGK) 82 WGA 1270/50 (112/60) - (144 WGK) 82 WGA 1271/50 (114/60) - (144 WGK) 82 WGA 1272/50 (116/60) - (144 WGK) 82 WGA 1277/50 (118/60) - (144 WGK) 82 WGA 1278/50 (120/60) - (144 WGK) 82 WGA 1279/50 (122/60) - (144 WGK) 82 WGA 1280/50 (124/60) - (144 WGK) 82 WGA 1281/50 (126/60) - (144 WGK) 82 WGA 1282/50 (128/60) - (144 WGK) 82 WGA 1284/50 (130/60) - (144 WGK) 82 WGA 1286/50 (132/60) - (144 WGK) 82 WGA 1283/50 (204/60) - (144 WGK) 82 WGA 1285/50 (278/60)

Zu allen im Kopf dieses Schreibens genannten Verfahren werden hiermit als nunmehr nach Art 50 Abs. 5 REAG Berechtigte hinzugezogen:

  1. die Allgemeine Treuhand-Organisation (ATO)
  2. die Jewish Restitution Successor Organisation (IRSO)

Zur Unterrichtung der Hinzugezogenen teilt die Kammer mit:

Alle im Kopf dieses Schreibens genannten Verfahren sind eingeleitet worden auf Grund einer, am 15. Mai 1950 beim Haupttreuhänder für das Rückerstattungsvermögen eingegangenen Anmeldung eines Nichtberechtigten. Alle Nichtberechtigten sind inzwischen mit ihren Ansprüchen in allen oben genannten Verfahren rechtskräftig abgewiesen worden.

In den einzelnen Verfahren sind folgende Ansprüche - gegen das Deutsche Reich gerichtet - streitbefangen:

144 WGK 110.60:
eine angebliche Forderung des Dr. Magnus Hirschfeld gegen Hermann Hirschfeld, Berlin SW 11, Halleschestr. 21, aus einem im Februar 1933 angeblich gegebenen Darlehn in Höhe von 8.000 RM;
144 WGK 112.60 :
ein angebliches Guthaben und Depot des Dr. Magnus Hirschfeld bei der Deutschen Bank, Depositenkasse A, Berlin W 8, Mauerstr. 26/27, ohne nähere Angaben;
144 WGK 114.60 :
ein angebliches Guthaben des Dr. Magnus Hirschfeld bei der Deutschen Bank, Depositenkasse B, Berlin N 54, Hackescher Markt 2/3 - auf Separat Konto Nr. 19620 - ohne nähere Angaben;
144 WGK 116.60 :
ein angebliches Guthaben des Dr. Magnus Hirschfeld - Separatkonto "Institut" - sowie die sich im Depot befindlichen Sachen bei der Deutschen Bank, Berlin W 8, Mauerstr. 26/27;
144 WGK 118.60 :
angebliche Lizenzgebühren und andere Bezüge des Dr. Magnus Hirschfeld gegen die chemische Fabrik "Promonta" in Hamburg 26, Hammer Landstraße 162-178 - ohne nähere Angabe;
144 WGK 120.60 :
angebliches Guthaben des Dr. Magnus Hirschfeld beim Postscheckamt in Berlin NW 7 - Konten Nr. 21803 und Nr. 155996
144 WGK 122.60 :
angebliche Hypothekenzinsen und Bezüge, die Dr. Magnus Hirschfeld von der chemischen Export-GmbH, Vauka, Patentex, Frankfurt/Main, Eppenheimerlandstrasse 51, zu fordern hatte;
144 WGK 124.60 :
angebliche Beträge - in unbekannter Höhe - die Dr. Magnus Hirschfeld bei Rechtsanwalt Dr. Walter Niemann, Berlin W 10, Friedrich-Wilhelmstr. 6, hinterlegt hatte;
144 WGK 126.60 :
Ansprüche auf Wertpapiere, die entweder zugunsten des Dr. Magnus Hirschfeld oder zu Gunsten der Dr. Magnus Hirschfeld-Stiftung bei der Reichshauptbank für Wertpapiere - zu Konto Buch 315 5 63 - deponiert waren;
144 WGK 128.60 :
die Hälfte der Lizenzgebühren und Bezüge, die entweder Dr. Magnus Hirschfeld oder die Dr. Magnus Hirschfeld-Stiftung von der "Titus" - chemisch-pharmazeutischen Fabrik GmbH, Berlin-Pankow, Hiddenseestr. 10, zu fordern hatte;
144 WGK 130.60 :
das angebliche Guthaben des Dr. Magnus Hirschfeld auf Konto Nr.6183 beim Postscheckamt Berlin;
144 WGK 132.60 :
das angebliche Guthaben des Dr. Magnus Hirschfeld bei der Wertheim-Bank A.G., Berlin W 9, Leipzigerstr. 126;
144 WGK 204.60 :
die angeblichen Rechte und Anteile aus den zwischen Dr. med Schapiro, Berlin NW, In den Zelten 9a und 10 und der Dr. Magnus Hirschfeld-Stiftung abgeschlossenen Verträgen;
144 WGK 278.60:
die angeblichen Ansprüche auf Auszahlung aus einem Versicherungsvertrag des Dr. Magnus Hirschfeld mit der Allianz- und Stuttgarter Versicherung A.G. (Versicherungsschein Nr. K 25101).

In einem weiteren inzwischen rechtskräftig beendeten Verfahren - (144 WGK) 8 WGA 1276.50 (115.55) -, in dem es um das früher der Dr. Magnus Hirschfeld-Stiftung gehörige Grundstück in Berlin NW, In den Zelten 9 a, ging, haben sich ATO und IRSO bereits dahin geeinigt, daß die ATO für die Stiftung aktivlegitimiert sei (vgl. Schreiben der IRSO vom 26.10. 1953 = Bl. 82 jener Akten, sowie Schriftsätze der ATO vom 3.9.53 und 22.9.53 = Bl. 69 und Bl. 73 jener Akten).

Demgemäß ist in jenen Akten das Grundstück in den Zelten 9 a auch an die ATO restituiert worden. In jenen Schriftsätzen war aber ferner angezeigt, daß neben 2 weiteren - hier nicht interessierenden - Verfahren die ATO auch im Verfahren 8 WGA 1283.50 = 144 WGK 204.60 aktivlegitimiert sein soll.

Hierauf gestützt, bittet die Kammer beide Treuhandgesellschaften, zu prüfen, ob die Ansprüche aus allen oben genannten Verfahren nicht einer einzigen Gesellschaft überlassen werden können (gemeinsame Bescheinigung). Die Kammer wäre dann nicht gezwungen, zu prüfen, ob es sich um Ansprüche des Dr. Magnus Hirschfeld oder der Dr. Magnus Hirschfeld Stiftung handelte. Zudem dürfte eine solche Handhabe praktisch sein, zumal die Ansprüche bisher sehr zweifelbar, insbesondere auch im Hinblick auf § 14 Abs. 3 BRüG erscheinen.

Zur weiteren Unterrichtung teilt die Kammer ferner mit:

Dr. Magnus Hirschfeld ist ausweislich der beigezogenen Nachlaßakten des AG Charlottenburg - 60 VI 100 und 101.59 - testamentarisch beerbt worden von

  1. einem Herrn Karl Giese
  2. einem Herrn Li Shiu Tong.

Keiner der genannten Testamentserben hat sich bisher zu Verfahren gemeldet. Der ehemalige Testamentsvollstrecker über den Nachlaß des Dr. Magnus Hirschfeld, Herr Rechtsanwalt Dr. F. Herzfelder, Paris, 16 rue Samt Vincent de Paul, hat der Kammer bezüglich Karl Giese am 18.1.1965 folgendes mitgeteilt (Bl. 133 in 144 WGK 110.60):

"a) Herr Karl Giese hatte seinen letzten Wohnsitz in Brno (Brünn), Strelecka 8. Er hat sich dort am 16. März 1938 das Leben genommen. Ich besitze keine Sterbeurkunde.

b) Herr Giese war nicht Jude. Im übrigen ist mir seine Konfession nicht bekannt.

c) Nach den Mitteilungen, die mir kurz nach dem Tode des Herrn Giese durch Herrn Dr. Joseph Weisskopf in Brno-Kval, Pole, Srbska 15, zugegangen waren, war Herr Dr. Karl FEIN, Rechtsanwalt in Brno 6, Masaryka, Alleinerbe des Herrn Giese geworden. Herr Dr. FEIN soll nach Mitteilungen, die ich nach dem Kriege erhielt, in der Deportation umgekommen sein. Seine Erben konnten meinerseits nicht ermittelt werden.

Leider besitze ich über diese Vorgänge keine Unterlagen mehr."

Dem anderen Testamentserben sind dagegen vom Wiedergutmachungsamt Berlin alle oben genannten Ansprüche bekanntgegeben worden. Nach vielen Mühen war es dem Wiedergutmachungsamt Berlin gelungen, dessen Anschrift in der Schweiz (die ausdrücklich geheim gehalten werden sollte) zu ermitteln. Obwohl ihm die Anmeldungen über Ansprüche durch einen Nichtberechtigten per Einschreiben/Rückschein am 8. August 1958 bekannt gegeben worden sind (vgl. Bl. 31 in 144 WGK 112.60), hat sich Li Shiu Tong niemals zum Verfahren gemeldet. Er ist dann kurz darauf in Zürich als nach Honkong verzogen zur Abmeldung gelangt. Eine weitere Verbindung mit ihm konnte nicht aufgenommen werden. Unter Anwendung der Grundsätze aus ORG/A/1966 ist deshalb auch bezüglich Li Shiu Tong die zuständige Treuhandgesellschaft gemäß Art. 50 Abs. 5 REAO hinzuzuziehen: denn niemand kann schließlich gegen seien Willen (dies folgt aus seinem Verhalten) durch einen Nichtberechtigten zu einem Verfahren gezwungen werden.

Die einzelnen oben genannten Verfahren sind bisher noch weitgehendst unsubstantiiert. Diejenigen, die die Anmeldung vorgenommen hatten, besaßen nur eine Verfügung der Gestapo - E 11/33 - vom 2.2.1934 - mit dem Inhalt, daß die in den einzelnen Verfahren genannten Vermögensgegenstände gemäß § 1 der VO vom 28.2.1933 beschlagnahmt werden (vgl. Bl. 18 bis 21 in 144 WGK 110.60).

Wegen der Vorschrift der § 14 Abs 3 BRüG ist es zudem zweifelhaft, ob eine Treuhandgesellschaft aus einem der oben genannten Verfahren Ansprüche ableiten kann. Da die Anmeldungen jedoch vor dem 30.6.50 vorgenommen worden sind, mußte die Kammer die Treuhandgesellschaften beiziehen, weil erst deren weiterer Sachvortrag endgültig Klarheit bringen kann, ob Naturalrestitutionsansprüche möglich sind.

Inzwischen sind folgende Ermittlungen durchgeführt worden:

  1. Auskunft der Deutschen Bank vom 7.3.55 (Bl. 6 in 112.60):

    Weder bei der Stadtzentrale, Abteilung A, der Deutschen Bank noch bei der Depositenkasse B wurden per Kriegsende ein Konto oder Depot des Dr. Magnus Hirschfeld geführt.

  2. Schreiben der Chem. Fabrik "Promonta" GmbH, Hamburg, vom 16.5.und 27.5.1955 (vgl. Bl. 5/6 und Bla 20 in 144 WGK 118.50):

    Lizenzgebühren für die Zeit ab 1935 bis 30.6.38 in Höhe von 12.175,20 RM sind an eine unbekannte Stelle abgeführt worden. Die ab 1.7.38 fällig gewordenen Lizenzgebühren sind durch eine Abstandssumme von RM 7.000,-- - wieder unbekannter Empfänger - abgelöst worden;

  3. Anfragen an das Postscheckamt (Bl. 4 in 144 WGK 120.60 und Bl 5 in 144 WGK 130.60) blieben bisher ohne Antwort;
  4. Ermittlungen nach der Chem. Export GmbH Vauka Patentex waren bisher negativ (vgl. Bl. 5 in 144 WGK 122.60);
  5. Rechtsanwalt Dr. Walter Niemann ist lt. Auskunft der Rechtsanwaltskammer inzwischen verstorben (vgl. Bl. 4 in 144 WGK 124.60);
  6. Ermittlungen beim Archiv des ehemaligen Reichsfinanzministeriums - Wertpapierstelle - wegen Wertpapieren waren negativ (vgl. Bl 6 in 144 WGK 126.60);
  7. Die Firma "Titus" Chemisch-pharmazeutische Fabrik GmbH ist erloschen (vgl. Bl. 6 in 144 WGK 128.60)
  8. Hermann Hirschfeld hat nach seiner SV. vom 25.10. (??)(Bl. 17 in 144 WGK 110.60) die gegen ihn gerichtete Forderung zwangsweise beglichen (angeblich gegenüber dem Polizeipräsidenten Berlin).

Die zuständige - oder sofern eine Einigung nicht zustande kommt - beide Treuhandgesellschaften werden hiermit aufgefordert, die erhobenen Ansprüche - sofern auf jene nicht verzichtet wird - nunmehr zu substantueren.

Die Kammer bittet, die Verfahren möglichst bald zum Abschluß zu bringen.

Grünler, Landgerichtsdirektor

 

beglaubigt

(Walter)

Justizangestellte

Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. - Startseite (ohne Frame) - Übersicht/Sitemap - Letzte Aktualisierung: 07.11.2001